Literatur

Alles, was leuchtet

Die Technologie verbessert unser Leben, indem sie Schwieriges einfach macht. Und genau das ist die grundlegende Maxime unserer heutigen Welt.
Aber solche technologischen Verbesserungen führen auch zu einer Verarmung der Welt. Das GPS verschleiert all die bedeutungsvollen Unterschiede, die bei einer geschickten Navigation offenbar werden. Im selben Maß, in dem die Technologie alte Fähigkeiten überflüssig macht, versagt sie uns die Möglichkeit, Bedeutung zu finden. Über eine bestimmte Fertigkeit zu verfügen, bedeutet zugleich zu wissen, was in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich etwas zählt oder der Mühe wert ist. Kunstfertigkeiten offenbaren uns bedeutungsvolle Unterschiede und kultivieren in uns das Gefühl, Verantwortung dafür zu tragen, dass diese Unterschiede auch auf allerbeste Weise zum Vorschein kommen. Im selben Maß, in dem Technologie uns von der Notwendigkeit individuellen Geschicks befreit, verflacht sie das menschliche Leben.

Und das in zweierlei Hinsicht: Erstens wird die Welt immer nichtssagender. Das ist es was Sturt meint, wenn er schreibt, dass das lokale Wissen von Holz ausgestorben sei: Kaum ein Mensch dürfte heute noch den Unterschied zwischen Eschenholz erkennen, das „robust wie eine Peitschenschnur“ ist, und einem, das „splittrig ist wie eine Karotte“ – dabei unterscheiden sich seine Bedeutung und sein Wert dadurch maßgeblich. Mit dem Untergang dieses Wissens sind unzählige andere Unterschiede, die von einem fähigen Holzarbeiter enthüllt werden konnten, in Vergessenheit geraten. Da die Bandsäge es mit jeder Verwachsung aufnehmen kann, müssen wir auch nicht mehr zwischen einer Verwachsung unterscheiden können, die ein Problem darstellt und geschickt ausgespart werden muss, und einer, aus der sich ein Nutzen ziehen lässt, weil sie die Holzarbeit in sich stärkt. Die Unfähigkeit, diesen Unterschied zu erkennen, verringert die Qualität des Produkts. Oder wie Sturt sagt: Maschinell hergestellte Felgen mögen vielleicht für den Theoretiker besser aussehen, aber der kunstfertige Praktiker erkennt, dass sie unbarmherzig intelligenzlos gefertigt wurden. Noch schlimmer als der Verlust an Qualität ist jedoch der Verlust unserer Fähigkeit, Qualitätsunterschiede erkennen zu können. Je mehr handwerkliches Wissen wir verlieren, desto mehr Wertmerkmale gehen der Welt verloren.
Aber unter diesem Bedeutungsverlust leidet auch unsere Selbsterkenntnis. Stimmungen der Zuneigung und der andächtigen Ehrfurcht – geboren aus der kundigen Aufmerksamkeit für die Wertmerkmale des eigenen Metiers – kennen wir kaum noch. (…) Andächtige Ehrfurcht lässt uns bedeutungsvolle Unterschiede kultivieren. Ehrfurcht vor dem Holz bedeutet nicht nur, es zu achten, weil es unseres Staunens wert ist, sondern auch, es zu pflegen und das Beste aus ihm herauszuholen – es zum Leuchten zu bringen. Technologie befreit uns von der Notwendigkeit individuellen Geschicks, enthebt uns aber zugleich des noblen Verständnisses von uns selbst als Hüter der Bedeutung.
Auszug aus Alles, was leuchtet – Wie große Literatur den Sinn des Lebens erklärt
(Seite 307-309)