Im Drehbuch gab es folgende Episode: Ein Bauer fertigte sich Flügel an, kletterte auf eine Kathedrale, sprang von dort herunter und zerschellte auf dem Boden. Wir „rekonstruierten“ diese Episode, indem wir uns den psychologischen Kern dieser Episode vergegenwärtigten: Offensichtlich gab es da einen solchen Menschen, der sein ganzes Leben lang vom Fliegen träumte. Wie konnte sich dies nun in der Wirklichkeit abgespielt haben?
Menschen rannten ihm nach, er musste sich beeilen, und dann sprang er. Was konnte dieser Mensch sehen und fühlen, als er zum ersten Mal in seinem Leben flog? Gar nichts konnte er sehen. Er fiel einfach zu Boden und zerschellte dort. Spüren konnte er bestenfalls seinen unerwarteten und schrecklichen Fall. Das Pathos des Fliegens und dessen Symbolik waren dahin, da der Sinn hier ausgesprochen unvermittelt und hinsichtlich bereits gewohnter Assoziationen primär, elementar ist. Auf der Leinwand durfte also lediglich ein einfacher verschmutzter Bauer auftauchen. Danach sein Sturz, das Aufschlagen auf dem Erdboden, sein Tod. Das ist ein konkretes Ereignis, eine menschliche Katastrophe, die damals genauso beobachtet wurde, wie man das heute tun würde, wenn sich plötzlich jemand aus irgendeinem Grunde vor ein Auto stürzen würde und dann verletzt auf dem Asphalt liegt.
Lange suchten wir nach einer Möglichkeit, das plastische Symbol aufzuheben, auf dem diese Episode basiert. Dabei kamen wir darauf, dass das Übel gerade in den Flügeln steckt. Um nun vom Ikarus-Komplex dieser Episode wegzukommen, erdachten wir einen Ballon, einen unansehnlichen, der aus Häuten, Fetzen und Stricken gefertigt wurde. Unserer Meinung nach zerstörte er das falsche Pathos dieser Episode und machte aus ihr ein unverwechselbar einprägsames Ereignis.
Zuerst und vor allem muss man ein Ereignis beschreiben und dann erst seine Beziehung zu ihm. Die Beziehung zu einem Ereignis muss das Gesamtbild bestimmen und aus dessen Einheit ersichtlich werden. Das ist wie bei einem Mosaik: Jedes Steinchen hat hier seine eigene Farbe. Entweder blau oder weiß oder rot, insgesamt aber eben jeweils verschiedene. Erst wenn man dann das fertige Mosaikbild betrachtet, erkennt man, was der Autor damit beabsichtigte.
Ich liebe den Film sehr. Vieles weiß ich selbst noch nicht. Wird zum Beispiel meine Arbeit meiner Konzeption, jenem System von Arbeitshypothesen entsprechen, an denen ich mich jetzt orientiere? Ringsherum gibt es viele Verführungen, die Verführungen von Schablonen, von Allgemeinplätzen und mir fremden künstlerischen Ideen. Und schließlich ist es ja auch so einfach, eine Szene schön und effektvoll, auf den Publikumsbeifall hin zu drehen … Du brauchst nur einmal diesen Weg einzuschlagen – und schon bist du verloren.
Mit Hilfe des Kinos können die kompliziertesten Fragen der Gegenwart auf einem Problemniveau aufgegriffen werden, das jahrhundertelang ein Arbeitsfeld von Literatur, Musik und Malerei war. Man muss nur immer wieder von neuem jenen Weg suchen, den die Filmkunst gehen muss. Ich bin davon überzeugt, dass die praktische Arbeit im Film für jeden von uns eine unfruchtbare und hoffnungslose Sache bleiben wird, wenn wir dabei nicht genau und eindeutig die innere Spezifik dieser Kunst begreifen, nicht in uns selbst den eigenen Schlüssel zu ihr finden.
Andrej Tarkowskij über seinen Film „Andrej Rubljow“ in: „Die versiegelte Zeit“ (Alexander Verlag Berlin)
„Man muss von der Poesie lernen„, so fordert er, „mit wenigen Mitteln und wenigen Worten eine Fülle von emotionalen Informationen zu vermitteln… Im Film muss man nicht erklären, sondern direkt auf die Gefühle des Zuschauers einwirken. Die erwachte Emotion bewegt dann die Gedanken vorwärts.“
aus: Iwans Kindheit, Atlas Filmheft 29, Duisburg o.J.